Inhaltsverzeichnis/Empfehlung zur Lesereihenfolge
- Wer ist Hocipoci?
- Es begann schleichend in mein Bewusstsein zu kriechen. Ich muss richtig Segeln lernen!
- Strategie YouTube „Segeln für Anfänger“
- Weltumsegler zum Anfassen mit Patreon, Freunde klären mich auf
- Motivation zum Segeln mit SV Delos
- Das perfekte Hafenmanöver, Anlegen Bug voraus in der Box
- Die Yacht, was moderne „Bordfrauen“ unbedingt auch lesen sollten
- Das Erste Mal mit zwei verdeckten Ermittlern
- Segelbücher für Frauen der anderen Art, must have!(Teil 1)
Das Wetter gemäßigt, sonnig und wenig Wind. Die Crew zu viert, also meine drei Männer mit Seglergen und ich das Fendergirl. So ging es zum Boot.
Dieser Tag sollte eine pure Übungseinheit für mich werden, quasi begleitetes Fahren. Unser Ziel: Ich soll ein bisschen Steuern, um ein Gefühl für das Boot zu bekommen. Wir üben Anlegen in der Box zu zweit unter den Augen unserer wachsamen Kinder. Das Boot bleibt heil und ich sammle positive Erfahrungen und Mut.
Natürlich freute ich mich schon überhaupt wie verrückt, dass die Kinder da waren, aber ich freute mich auch, dass wir jetzt in die praktische Phase gingen. Dennoch hatte ich ein komisches Grummeln im Bauch. Meine Hände waren irgendwie schwitzig, war mir etwa übel? Meine Blutdrucktablette hatte ich nicht vergessen. Die Pulsuhr zeigte nur leicht erhöhten Puls an, also alles gut.
Wir legten ab und nachdem wir den Hafen und die ausgebaggerte Fahrrinne verlassen hatten, wurde nach ausgiebigen Erläuterungen mir das Steuerrad übergeben. Ich sollte mich an dem Windanzeiger an Deck orientieren.
Erstmal einen bestimmten Kurs, nämlich den Bug in die Richtung lenken woher der Wind weht und dann Kurs halten war die Aufgabe.
Bei meinen Versuchen galt es, das Boot mit Hilfe des Windanzeigers auf Spur zu bringen und dann den anvisierten Kurs zu halten. Zunächst fühlte sich das wie wildes Torkeln auf dem Wasser an und überhaupt nicht, als würde ich irgendwann die Richtung erreichen, aus der der Wind kam.
Der visuelle Windanzeiger ist ein Anzeigegerät, das aussieht wie ein Boot, welches sich in einem Kästchen befindet und man guckt quasi von oben auf das Boot rauf. In dem Kästchen um das Boot herum sind Striche, die die Gradzahl des Kurses darstellen und ein Zeiger zeigt an, wo der Wind herkommt. Eigentlich wie eine Uhr, aber man muss sie eben erst lesen lernen. Er befindet sich bei uns direkt über der Treppe an Deck, wo man in das Boot hinuntergehen kann, dem sog. Niedergang.
Anfänglich klappte das – wie gesagt – gar nicht. Ich hatte den Eindruck, das Boot ist besoffen, und zwar kräftig, ich kriegte es nicht gestützt. Tatsächlich drehte ich offensichtlich noch viel zu gefühllos am Steuerrad herum, ohne die Trägheit des Bootes bei seinen Bewegungen zu berücksichtigen. Ist eben mit Autofahren nicht zu vergleichen.
O weh, das dauerte alles so lange und ich wirkte offensichtlich nach außen hin ein bisschen unruhig und verzweifelt, weil ich das Torkeln nicht abgestellt kriegte. Wie macht das bloß unser Sohn, der am allerliebsten am Steuer steht. Da ging das gefühlt in Sekundenschnelle, dass er das Boot immer auf dem richtigen Kurs hatte, z.B. beim Segelsetzen.
Ich war schlichtweg unzufrieden mit mir, was meine drei anwesenden Trainer natürlich – weil sie mich so gut kennen – sofort merkten. Sie säuselten mir dann abwechselnd mit sanfter Stimme ins Ohr, ich müsse nur durchatmen, auf keinen Fall verzweifeln und nicht so ungeduldig mit mir selber sein, es sei auf keinen Fall Unfähigkeit meinerseits, sondern die Physik sei schuld, bzw. die Trägheit des Bootes. Das sei alles ganz normal am Anfang und kein Grund zur Beunruhigung.
Wie schön so empathische und feinfühlige Segler als Trainer zu haben. Sind halt alle gute Skipper, mit den notwendigen Führungsqualitäten.
Das Säuseln half, mein Herzschlag beruhigte sich wieder und mein Kloß im Hals – den den man immer kriegt bevor man anfängt zu weinen – löste sich wieder auf.
Die Kinder belustigten mich dann mit Erinnerungen und Erzählungen aus ihren ersten Trainingseinheiten mit diesem Boot. Das war bevor sie damit mit ihrer Kindercrew losdurften. Sie erzählten auch mit welchen Übungen der Papa sie damals beschäftigt hatte, inklusive anderer Teilnehmer von ihrem Törn.
Es gab dann von ihnen den Vorschlag, mich gar nicht so auf den Windanzeiger zu fixieren, sondern mir einen Punkt an Land zu merken, in der Richtung, in die ich wolle und diesen Punkt dann als Ziel an zu fokussieren, sobald ich mich dem Kurs ein wenig angenähert hätte. Ein bisschen wie Kimme und Korn, lautete der Ratschlag.
Zwar hatte ich schon eine Waffe in der Hand gehabt, aber was nun Kimme und Korn beim Boot sein sollte, war nicht so leicht in Einklang zu bringen, wie bei einem Gewehr. Das Gewehr ist einfach viel kürzer, das Boot viel länger, unendlich lang gefühlt.
Ich versuchte die Ratschläge in meinem Hirn zu sortieren und umzusetzen, aber damit brachte ich auch mein Hirn ins Torkeln, wie das Boot im Wasser immer noch leicht vor sich hin torkelte.
Aber nach einer Weile, in der ich nur in fröhliche, entspannte Gesichter blickte und die völlig „Ghandi mäßig“ duldsam wirkten, gelang es dann plötzlich, ich war auf Kurs. Ich zählte die Sekunden, 30 Sekunden ohne Torkeln. Die Mannschaft blieb entspannt, sie hatten wohl das heimliche Zählen von mir durchschaut und lobten sofort.
Da merkte man, dass die Familie doch sehr viel von der Arbeit mit Pferden mitbekommen hatte. „Fehler“ ignorieren und das Richtige sofort positiv bestätigen durch Loben. Das rät Ingrid Klimke, eine hervorragende und berühmte Reitmeisterin in allen Sparten, immer an. Damit lernen die sensiblen Vierbeiner sehr schnell. Fendergirls offensichtlich auch.
Die neuen Kursansagen kriegte ich hin, das Getorkele wurde weniger und beim Kurs halten konnte ich schon bis 60 zählen. Dann hörte ich auf zu zählen, weil die 60 Sekunden deutlich überschritten wurden und ich wieder in der Lage war zu sprechen. Gleichzeitig sprechen und zählen geht nicht.
Problematisch blieb trotzdem das Anpeilen von Merkpunkten an Land. Ich stand noch wie festgetackert direkt hinter dem Steuerrad und nutzte noch nicht die ganze Breite des Bereiches aus, von dem aus man das Steuerrad bedienen kann.
So festgetackert konnte ich nicht über die Sprayhood und auch nicht durch deren Fenster gucken. Fürs Fenstergucken hätte ich mich kleiner machen müssen als ich war. Soviel Flexibilität brachte ich noch nicht zu Stande.
Nur damit man sich das als Nichtsegler vorstellen kann: Die Sprayhood überspannt den Bereich des Niedergangs, hält Wind und Regen ab und sieht aus wie eine Strandmuschel auf dem Boot, nur mit Fenstern und sehr stabil.
Ich kriegte wieder im sanften Tonfall eingeflüstert mich ein bisschen nach links und rechts zu bewegen, um einen Standpunkt zu finden, von dem aus ich vom Heck gut zum Bug gucken konnte und dann weiter zum Land, um das Kimme und Korn Prinzip umsetzen zu können.
Dass ich vorher gar nicht auf den sonstigen Bootsverkehr geachtet hatte, vor lauter Aufregung den Kurs zu halten, viel mir jetzt erst auf, als mein Göttergatte zu meinem jetzigen größeren Bewegungsradius anmerkte: „guckt mal wie schön, jetzt kannst du auch die anderen Boote sehen“. Im gleichen Zuge kriegte ich gleich ein paar Vorfahrtsregelungen mitgeteilt, ohne gleich selbstständig eine Quizmäßige Abfrage der Vorfahrtsregeln für die jeweiligen Boote vor den Latz geknallt zu kriegen. Wie schön, wenn man nicht überfordert, sondern nur im gesunden Maß gefördert wird.
Meine anfängliche Sorge wich, ich wurde weniger verzagt und fragte mutig, welchen Kurs jetzt?
Vielleicht war ich ein bisschen zu munter, denn jetzt kam meine Angstpassage zurück in den Hafen und Anlegen. Nein, niemand wollte mich zwingen gleich mal locker „einzuparken“, sondern es wurde besprochen, wir gucken mal mit den Achterleinen oder der Mittelspring. Die Aufgaben wurden verteilt und besprochen. Dank meiner theoretischen Vorbeschäftigung, hatte ich auch keine nebulöse Vorstellung mehr über meine Aufgaben, sondern einen klaren Blick. Ein Notfalleinsatzplan für die verdeckten Ermittler war auch besprochen und von mir verstanden worden. Damit minimierte sich deutlich mein Stresspegel. Obwohl ich mich jetzt eigentlich voll gut präpariert fühlte, hüpfte mein irrationales Angstteufelchen plötzlich wieder durch mein Hirn: „denk an das Vorne, denk an das Spriiiiiiiingen auf den Steg“. Kommunikation ist bei guter Seemannschaft Ehrensache, deswegen äußerte ich mich.
Aber Vorne, ich musste doch auch vorne an den Steg und wie soll ich da rüber springen…wieder mal Kopfkino! Ich maulte! Wir besprachen die Situation erneut.
Die Achterleinen als „Bremse“ vor einem Zusammenprall mit dem Steg zu nutzen war blöd. Mit viel Gerenne würde ich die Achterleinen zwar beide irgendwie rüber kriegen, aber gleichmäßig festmachen, um in die Achterleine einzudampfen (das Boot mit der Achterleine sanft auszubremsen), das war nix, weil ich sie nicht gleichmäßig lang kriegen würde. Bei richtig Wind und Wetter keine Lösung für ein Fendergirl.
Möglicherweise kann das jemand der flitzen kann wie ein Olympionike, aber meine Kniee gaben eine dafür notwendige Bewegungsgeschwindigkeit nicht her. Für mich viel zu schnell. Mein Maulen wurde erhört.
Die drei Experten analysierten kurz und waren sich sofort einig. Eine auf die Bootslänge genau angepasste Mittelspring über beide Bordseitenwürde uns in jede ausreichend lange Box langsam gerade reingleiten lassen.
Das läuft also in der Praxis wie folgt (Erklärungstext für Noch nicht Segler):
An zwei Leinen werden am Ende große Schlaufen geknotet. Das macht man mit einem sogenannten Palstek, einem wichtigen Knoten, der sich nicht festzieht aber hält.
Dann nimmt man die Schlaufe und hält sie genau an das Ende der See-Reling, das ist die erhöhte Metallumspannung über dem Deck des Bootes außen rum. Von dort führt man das Tau über eine Klampe, die sich in der Mitte des Bootes Backbord und Steuerbord befindet.
Eine Klampe ist eine in der Seefahrt verwendete Vorrichtung zum Befestigen von Leinen. Sie hat zwei gegenüberliegende Hörner, um welche die Leine im Wechsel geschlungen wird. Dabei wird das Tauwerk durch die Haftreibung mit den Hörnern der Klampe gehalten.
In unserem Fall wurde das Tau aber nicht an der Klampe festgemacht, sondern um die Klampe zurück Richtung Heck auf dem Schiff im Bogen geführt und dann auf die Winsch gelegt.
Die Winsch (englisch winch „Winde“), ist ein rundes Ding zur Übertragung von größeren Zugkräften.
In meiner Sprache ein rundes bewegliches Teil, was ein bisschen wie ein eingekürzter Turm beim Schach aussieht, fest im Boot montiert ist und sich im oberen Teil wo auch eine Seilführung ist, mit einer Kurbel drehen lässt.
Man führt ein Seil dreimal rundherum und dann in eine Führung hinein, wo das Seil festanliegt und dann (Juhu elektrisch) eingedreht werden kann.
Wäre der optimale Partner beim Tauziehen, kommt nix gegen an.
Man kann damit auch Segel hochziehen oder jemanden den Mast hinauf.
Dahin wurde meine Mittelspring auf beiden Seiten gelegt, so dass ich die Länge vor dem Anlegen schon optimal einstellen konnte.
Und raus ging es wieder aus der Box und dann sollte ich, nachdem das Anlegemanöver klar und verständlich besprochen worden war, die Länge meiner Mittelspring justieren und vorbereiten. Beim Anlegen sollte ich dann zunächst die Schlaufe der Mittelspring, auf der Seite woher der Wind kam, über den Pfahl legen, dann die andere Seite und dann auf dem Weg die jeweiligen Fender rauskicken und nachfolgend die Heckleinen noch überlegen. Alles schön langsam.
Das klappte ganz in Ruhe beim zweiten Versuch wundervoll.
Ich hatte mich beim ersten Versuch noch zu weit nach vorn auf dem Schiff begeben. Da war ich der Empfehlung gefolgt, die breiteste Stelle ist ungefähr da wo die Wanten sind. Das hatte aber zur Folge, dass mir einseitig die Leine über die Klampe rutschte und dann das Boot nicht beidseitig gleichmäßig über die Mittelspring gehalten wurde.
Die unsichtbaren Helfer, die zwei verdeckten Ermittler, korrigierten problemlos das kleine Malheur und beim zweiten Mal lief es wundervoll.
Niemand musste eingreifen. Der Bug war vor dem Steg gerade abgebremst, Der Motor trieb das Boot gerade nach vorne, während die Leinen es hielten.
Wir zwei hatten alle Zeit der Welt die Achterleinen hinten über die Pfähle zu legen und dann gemeinsam das Boot vorne am Steg festzumachen. Vorher mussten wir uns aber noch dem Steg weiter nähern.
Wir hatten ja während wir sicher in den Mittelsprings hingen, noch einigen Platz nach vorne.
In dem wir jeder auf einer Seite gemeinsam gleichmäßig Stück für Stück die Mittelspring über die Winsch langsam länger werden ließen – fieren ist das Fachwort dafür – konnten wir das Boot ganz nach Lust und Laune Richtung Steg bewegen, aber genauso die Bewegung wieder stoppen. Ich schaute dann zwischenzeitlich mal am Bug nach, wie weit noch bis zum Steg, ging wieder nach hinten und wir ließen langsam die nächsten Zentimeter die Leinen länger werden. Immer eine Handbreit nach der anderen, bis wir optimal positioniert waren.
Mein Mann stieg dann ganz lässig auf den Steg, legte dort die Vorleinen um die Festmacher und gab sie mir zum Boot zurück, damit ich sie am Vordeck festmachte.
Während ich mich über diesen Erfolg wie verrückt freute, erklärten uns die jugendlichen Trainer „jetzt nochmal und jetzt geht ihr auch über die Mittelspring raus“.
Eigentlich fühlte ich mich fast schon mental erschöpft aber meine Jungs hatten gute Argumente in Petto. Als Mama sollte ich jetzt einsehen, dass es ja auch mehr Wind beim Ablegen geben könne. Das könne man auch schnell nochmal erproben über die Mittelspring. Wenn die Klausurphase käme, dann könnten sie uns nicht mehr trainieren. Da seien sie wieder weg.
Oh weh, wie traurig, war es doch so schön sie als „Erklärbär“ und Notfallhelfer und Beobachter ergänzend hier zu haben und überhaupt!
Also jetzt hieß es Ablegen: Motor an nach vorwärts, damit das Boot wieder von der Mittelspring gehalten wird. Vorleinen ab und langsam gleichmäßig über die elektrischen Winschen nach hinten zu den Pfählen ziehen lassen.
Wir mussten uns dabei immer abstimmen, um gleichmäßig lange auf die Knöpfe zu drücken. Auf der Seite, wo man nämlich dichter am Pfahl ist oder dichter rankommt mit dem Boot ist die Mittelspring länger und muss gekürzt werden, damit das Boot sich nicht in der Box verschiebt.
Eine schöne koordinatorische Übung für uns zwei. Klappte aber auch super und völlig entspannt.
Was hatte ich mir für Sorgen gemacht, ging doch völlig schmausig.
Warum hatte ich solche Anlegemanöver vom Ablauf im Hafen bei anderen noch nicht mitbekommen? Zukünftig würde ich da mehr drauf achten.
Nachdem das Anlegen, unter den kritischen Augen der Kinder, als für ein „Anlegebier“ würdig befunden worden war, wusste ich, es ist für heute geschafft!
Ohne Geschrei und ohne kaputtes Boot und ohne Hafenkino für die Anderen.
Hafenmanöver können Spaß machen und stressfrei sein.
Wie genial ist das denn!
Hocipoci